Was ist eine Essstörung? Was kann ich mir darunter vorstellen?

Grundsätzlich gilt es, bei dem Wort „Essstörung“ eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten der Essstörung zu machen. Hierbei gilt es in Magersucht, Bulimie, Binge Eating, sowie Orthorexie zu unterscheiden. Die letzte Erkrankung ist relativ jung. Es gibt auch Mischformen zwischen den spezifischen Essstörungen und sogenannten unspezifischen Erkrankungen. Ich selbst habe fünf Jahre unter Magersucht und sieben Jahre unter Bulimie gelitten.

Wie würdest du die Magersucht und die Bulimie beschreiben? Wie hat es sich bei dir verhalten?

Bei der Magersucht wollte ich mich im wahrsten Sinne des Wortes „verdünnisieren“. Ich habe fast nichts mehr gegessen, denn jede Kalorie, die ich aufgenommen habe, fühlte sich an wie mein Feind. Durch exzessives Trampolinspringen habe ich versucht – wenn ich Kalorien zu mir genommen habe – diese wieder zu verbrennen. Das ist auch völlig logisch, denn eine Essstörung geht oftmals mit einer Sportsucht Hand in Hand. Hierbei bleibt der Spaßfaktor des Sports oft aus. Vielmehr achten Betroffene darauf, dass entsprechend Kalorien verbrannt werden. Am Ende des Tages, sowie am nächsten Morgen, stand ich dann auf der Waage. Hatte ich abgenommen, war es ein guter Tag. Hatte ich zugenommen oder mein Gewicht gehalten, war es ein schlechter Tag. Hohe Messwerte hatten dann direkt negative Auswirkungen auf mein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.

Bulimie kann als Mischform auftreten. Zuerst leidet man an Magersucht und dann kehrt es sich in Bulimie um oder umgekehrt. Bei der Bulimie als auch bei anderen Essstörungen wird der eigene Körper oft als Feind wahrgenommen. In den meisten Fällen merkt man Betroffenen gar nicht an, dass sie an Bulimie leiden, denn deren Essverhalten scheint auf den ersten Blick normal. Allerdings wird eine Bulimie durch Fressattacken begleitet, wobei Betroffene im Extremfall mehrere Tausende Kalorien zu sich nehmen und danach den Drang oder Druck verspüren, diese Kalorien wieder loszuwerden. Ich hatte diese Fressattacken oft, um diese Leere, die ich in mir Gespürt hatte zu verdrängen. Danach mussten die Kalorien aber wieder aus meinem Körper raus – egal wie, das einzige Ziel war es, diese Kalorien wieder loszuwerden. Das ist übrigens auch der entscheidende Unterschied zum Binge Eating. Denn beim Binge Eating ist der Prozess sehr ähnlich, allerdings spüren Betroffene nach den Fressattacken keinen so starken Druck, die aufgenommen Kalorien wieder zu verbrennen. Dadurch nehmen sie zu.

Welche Versuche hast du unternommen, um die Magersucht und die Bulimie loszuwerden?

In meiner Kindheit und Jugend war ich über einen längeren Zeitraum immer wieder in verschiedenen Krankenhäusern, Kliniken und therapeutischen Einrichtungen. Zudem war ich später aufgrund der Bulimie in ambulanter Behandlung. Im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass ich so ziemlich alles ausprobiert habe, was man ausprobieren konnte, denn ich wollte unbedingt gesund werden. Diese Einstellung ist essenziell, denn eine Therapie ist nur erfolgsversprechend, wenn die Person ihre Essstörung auch wirklich hinter sich lassen möchte.

Du hast erwähnt, dass das Wichtigste an dieser ganzen Sache ist, dass man die feste Absicht hat, seine Essstörung hinter sich zu lassen. War dieser Wille bei dir von Anfang an da oder war es ein Prozess, bis du diesen Willen hattest?

Nein, das ist definitiv ein Prozess. Zuerst braucht es die Erkenntnis, dass man überhaupt krank ist und an seiner Situation etwas ändern möchte.

Einer Essstörung liegen Themen zu Grunde, die vor der Essstörung bereits aufgetreten sind. In meinem Fall waren es unter anderem familiäre Themen und, dass ich nie wirklich wusste, wer ich wirklich bin. Das Fass zum Überlaufen brachte dann mein Opa, der mich im Alter von zehn Jahren vor der ganzen Verwandtschaft als seine Enkeltochter verleugnete – das war zu viel für meine Kinderseele. In diesem Moment habe ich mir selbst die Existenzberechtigung abgesprochen. Aufgrund meiner immer schlimmer werdenden Essstörung wurde ich von meinen Eltern zuerst in ambulante und dann auch in stationäre Behandlung gebracht. Während dieser Zeit wollte ich lieber sterben als leben.

Danach erfolgten mehrere sehr turbulente Jahre. Ich kam in eine Kinder- und Jugend-Klinik. deren Ansatz es war, einem jegliche Lebensfreude zu nehmen, um im Umkehrschluss zu motivieren, wieder gesund zu werden. Bei mir hat dieser Ansatz nicht funktioniert, woraufhin ich die Therapie verweigert habe. Dadurch wurde ich entlassen und durfte in den letzten Wochen wieder alles mitmachen. Dies hatte zum Erfolg, dass zum ersten Mal der Funke kam, dass das Leben auch Spaß machen kann. Ich wollte von nun an zum ersten Mal das Gewicht, dass ich hatte, dass eigentlich zu wenig war, halten. Das war zum ersten Mal eine Art Wendepunkt, indem mir klar wurde, dass das Leben auch schön sein kann und dass es sich doch lohnt zu kämpfen. Als ich entlassen wurde und in mein altes Umfeld gekommen bin, hat es dann keine Woche gedauert, bis ich in die Bulimie gerutscht bin. Das wollte ich eigentlich nicht. Ich habe wieder versucht zu hungern, aber das ging nicht mehr. Ich habe dann Extremhungerattacken bekommen. Mein Körper holte sich die Nahrung, die er zum Leben brauchte. Ich habe versucht, diese Bulimie wieder loszuwerden. Sieben Jahre lang ist mir dies nicht gelungen, aber der Lebenswille und vor allem der Wille, wieder gesund zu werden, waren da.

Du hast nach deinen Erfahrungen mit Essstörungen zahlreiche sozialwissenschaftliche Aus- und Weiterbildungen absolviert. Mit deinem Wissen möchtest du Frauen auf ihrem Weg aus der Essstörung begleiten. Was genau steckt hinter LIEBENSWERT woman?

Als ich selbst noch unter Essstörungen litt, war mein Kindheitstraum, eine Klinik für Essgestörte zu gründen. Ich wollte, dass niemand mehr negative Erfahrungen in Klinken machen muss, wie es bei mir der Fall war. Nun möchte ich aber in meinem Alter nicht mehr Medizin studieren, um eine Klink gründen zu können. Daher ist aus meinem einst naiven Kindheitstraum das Coaching Programm „LIEBENSWERT woman“ entstanden. Mit LIEBENSWERT woman bin ich für Frauen, die mit einer Essstörung zu kämpfen haben, eine Art „Reisebegleiterin“. Ich unterstütze sie dabei, ihren individuellen Weg aus der Essstörung zurück ins Leben zu finden. Dabei dürfen die Betroffenen aufblühen, indem meine Geschichte und meine Erfahrung zu ihrem „Dünger“ werden.  Diese wunderbaren, wertvollen und einzigartigen Frauen zu unterstützen bei ihrem Kampf gegen die heimtückische und zerstörerische Essstörung, ist meine Motivation und Leidenschaft!