Fear Food ist für Menschen mit einer Essstörung ein großes Thema. Sie unterteilen die Lebensmittel in “erlaubte” und “verbotene” Lebensmittel. Die “verbotenen” Lebensmittel werden auf eine Liste gesetzt, die im Verlauf der Krankheit oft immer länger wird. 

In einer Zeit, in der gesunde Ernährung ein populäres Thema ist, kommt manches Essen, auch bei Menschen ohne Essstörung, nie auf den Tisch. Für vieles gibt es gute Gründe, deshalb entscheiden sich viele bewusst gegen Süßigkeiten, Fertiggerichte oder auch (zu viel) rotes Fleisch. 

Wenn aus dieser Vermeidung allerdings ein Leidensdruck entsteht – wenn es also an der Lebensqualität zehrt, sich manche Lebensmittel zu verbieten – dann steckt dahinter vielleicht eine Essstörung. 

 

Welche Rolle spielt Fear Food bei verschiedenen Essstörungen?

Menschen mit Essstörung setzen sich strenge Grenzen, um der Angst vor den “verbotenen” Lebensmitteln aus dem Weg zu gehen. Im Bereich der Magersucht ist vor allem das eigene Kalorienlimit eine Herausforderung. Der Anspruch ist, möglichst wenige Kalorien zu sich zu nehmen und damit schlank zu bleiben oder noch weiter abzunehmen. Orthorektiker– Menschen, die zwanghaft nur „gesundes“ Essen, wie Gemüse, Vollkornprodukte und ethisch produzierte Lebensmittel zu sich nehmen – setzen dagegen mit der Zeit immer mehr „schädliche“ Inhaltsstoffe auf die schwarze Liste. 

Und so viele Essstörungen, wie es gibt, gibt es auch Perspektiven auf das Thema Fear Food. Wo Betroffene die Grenze setzen, ist meistens eine Frage der persönlichen Definition. 

Für mich gab es keine „guten“ Lebensmittel, sondern nur kleinere und größere Übel. Bevor ich meinen Weg aus der Essstörung gegangen bin, standen zum Beispiel Bananen auf der Fear-Food-Liste. Tomaten waren mein Essen der Wahl, denn sie haben weniger Kalorien. 

In der Reflektion des eigenen Essverhaltens liegt eine große Chance. Denn durch die Reflektion kannst du die eigenen Herausforderungen mit dem Essen besser erkennen. Das ermöglicht es dir, langfristig die besten Gegenmaßnahmen ausfindig zu machen.

 


Wie kann Fear Food beim Umgang mit anderen Menschen eine Herausforderung sein?

 Betroffene haben häufig Angst, das Idealgewicht und die selbst gesteckten Ziele nicht zu erreichen. Ich habe mich selbst eingeschüchtert und mir Vorwürfe gemacht. Nicht immer ist es vermeidbar, doch irgendwo etwas von dieser Fear-Food-Liste essen zu müssen – zum Beispiel bei Familienessen, mit Freunden oder auch im Krankenhaus. 

Gerade der Umgang mit anderen stellt Menschen mit Essstörung auf die Zerreißprobe. Normalerweise können Betroffene selbst entscheiden, was sie genau essen und wann sie essen. Beim Essen mit Freunden oder Familie geben sie diese Kontrolle ab. Betroffene fühlen sich also gedrängt, ihre Fear Foods zu sich zu nehmen oder sich vorzubereiten. 

Als Magersüchtige habe ich manchmal Mahlzeiten ausfallen lassen, um später „normal“ essen zu können; ein Bulimikerüberlegt sich vielleicht eine Ausrede, um sich während der Mahlzeit ungestört vom Tisch entfernen zu können.

Dabei ist es die Ungewissheit, wie Familie und Freunde reagieren, die zusätzlichen Druck erzeugt. Oft findet man im Erfahrungsaustausch mit anderen die Unterstützung, die man auf dem Weg in die Freiheit braucht. Genau darum freue ich mich, dass ich dir als Wegbegleiterin beistehen darf.


Wie bringen ungeplante Situationen Betroffene in Bedrängnis, sich ihrem Fear Food zu stellen oder Lügen und Ausreden zu erfinden? 

Bei spontanen Treffen entfällt die Möglichkeit zur Vorbereitung. Die wenigsten Menschen mit Essstörungen sprechen gerne über ihre Fear Foods – damit über ihre Krankheit – und halten sie deshalb geheim. Das funktioniert allerdings nicht, wenn für eine plausible Vertuschung gar keine Zeit bleibt. Das Ergebnis? Die Betroffenen müssen ausweichend reagieren oder sich ein kompliziertes Lügengerüst bauen. 

Ich selbst erinnere mich an meine eigene Erfahrung, bei der eine Freundin auf dem Nachhauseweg unbedingt etwas essen wollte. „Wir können uns doch eine Pizza holen“, sagte sie und stellte mich damit vor eine große Herausforderung. Dazu durchringen konnte ich mich allerdings nicht, deshalb: Pizza für meine Freundin, Tomatensalat für mich. Der hat nämlich besonders wenige Kalorien.

Das Ziel ist es, konstruktive Strategien zu entwickeln, auf die du in solchen Situationen immer wieder zurückgreifen kannst. Sicher darfst du dafür deinen persönlichen Weg finden. Ich kann dir allerdings Tipps geben, die sich in meiner eigenen Erfahrung und in der praktischen Umsetzung vieler Betroffener bewährt haben.

 

Wie stark schränkt so eine Liste mit Fear Food ein?

Wer es nicht aus eigener Kraft schafft, diese Denkmuster zu durchbrechen, wird zwanghaft. Ich habe irgendwann angefangen, bei jeder Kleinigkeit über Kalorien und Nährwerte nachzudenken. Viele wollen beim Kochen nicht zu viel Öl oder Fett benutzen, keinen regulären Kaugummi kauen oder sogar Tee vermeiden. All diese Fear Foods könnten ja Kalorien auf den Zähler setzen – und wenn auch im einstelligen Bereich. Nicht nur, welche Lebensmittel auf der Blacklist landen, spielt eine Rolle. Auch das Wie und das Wann sind entscheidend. Viele Betroffene machen sich systematisch einen Plan, z. B. legen Sie sich zeitlich fest: Keine Kohlenhydrate nach 16:00 Uhr. Ausnahmen könnten Kontrollverlust bedeuten und dies birgt Gefahren. 

Wenn du dich deinen Ängsten stellst, dann betrittst du in vielen Fällen noch Neuland. Allerdings hast du damit auch die Chance auf Erfahrungen, die dir eine neue Perspektive verschaffen. Damit kannst du Schritt für Schritt lernen, deine Essstörung hinter dir zu lassen. 

Was passiert, wenn Menschen mit Essstörungen doch Fear Food konsumieren?

Die Bestrafung für den Regelbruch kommt von innen: die Stimme ihrer Essstörung wirft ihnen Beleidigungen an den Kopf, sorgt für Schamgefühle und setzt sie allgemein noch mehr unter Druck. Aus Sicht von Menschen mit Essstörungen ist Fear Food die rote Linie, die sie nicht übertreten dürfen – nicht, ohne dass ihnen die innere Stimme das Leben zur Hölle macht. 

Es gibt allerdings einen ersten Schritt aus der Essstörung, den du gehen kannst. Mit ein paar simplen Übungen kannst du ein tieferes Verständnis für das Thema Fear Food erlangen und damit ein wenig Kontrolle zurückgewinnen. Es ist dein erster Schritt in die Selbstbestimmtheit und wir gehen ihn gemeinsam.